Die Spannung zwischen der Monti Regierung und den autonomen Provinzen Trient und Bozen ist weiterhin hoch. Der strittige Punkt betrifft den Beitrag, den die beiden Provinzen in den spending review Prozess kürzen sollten. Linkiesta sprach mit Luis Durnwalder, starkem Mann der Politik in Südtirol, seit 23 Jahren Landeshauptmann der autonomen Provinz Bozen. Durnwalder bekräftigt, dass das Budget mehr gekürzt sein kann, als es schon gemacht worden ist. Unter den Bedingungen, dass Monti die Spezifität der beiden Provinzen anerkennt und dass er überzeugt ist, dass der Betrag vereinbart werden muss und dass es an den beiden Provinzen liegt, die Budgetkürzungen zu entscheiden. In einem Gespräch, das sowohl den politischen sowohl den persönlichen Bereich berührt, Luis Durnwalder verdeutlicht zwei Begriffe: es gibt keinen Platz für extreme Anrufe gibt. Im Jahr 2013 er wird von del Politik zurücktreten, um ein wenig “Paradies” auf Erde zu genießen.
Herr Landeshauptmann, was ist es, was die Verhandlungen mit der Regierung über die Spending Review so schwierig macht?
Es ist wohl in erster Linie die Tatsache, dass man unsere Besonderheiten kaum berücksichtigt. Man muss sich vor Augen halten, dass die Länder Südtirol und Trentino 2009 in Mailand ein Abkommen mit dem Staat unterzeichnet haben, das die Finanzierung ihrer Autonomien neu regelt. Dieses Abkommen sieht einseitige Veränderungen nicht vor. Was es aber sehr wohl vorsieht, ist, dass jedes der beiden Länder jährlich auf 500 Millionen Euro an Einnahmen aus Steuern und Gebühren zur Entlastung des Staatshaushaltes verzichtet. Also: Südtirol und das Trentino haben schon eine Milliarde Euro beigetragen.
Das scheint Ministerpräsident Monti aber nicht zu genügen…
Genau. Die Regierung argumentiert damit, dass die beiden Länder schuldenfrei sind und deshalb noch mehr beitragen könnten. Wir wären dazu auch bereit, nur ist es nicht fair, wenn die Regierung nicht den Mut aufbringt, andere autonome Regionen ähnlich zu behandeln wie uns, etwa die Regionen Sizilien oder Sardinien. Mehr noch: Die Regierung setzt sich über verfassungsrechtliche Normen hinweg, indem sie uns schlechter behandelt als Regionen mit Normalstatut.
Wie löst man dieses Dilemma also?
Ganz einfach: indem man sich an das Mailänder Abkommen hält. Es geht demnach darum, ein Einvernehmen über die Höhe unseres Beitrags zur Entschuldung des Staates zu erreichen, danach muss es aber uns überlassen bleiben, wo wir diese Mittel einsparen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Regierung sich über unsere Autonomie hinwegsetzt, die immerhin Verfassungsrang hat, indem sie dekretiert, wie viel wo in welchem Ausmaß gespart werden muss.
Es geht demnach um die Einhaltung von Zuständigkeiten?
Sicher! Wir verlangen, dass unsere Rechte nicht mit Füßen getreten werden. Wir haben nie gesagt, dass wir uns der Verpflichtung entziehen wollen, zur Sanierung des Staatshaushalts beizutragen, aber ich kann nur wiederholen: wo wir sparen, muss uns überlassen bleiben. Dies auch, weil es zu einfach wäre, solchen Entscheidungen einfach nur Daten zugrunde zu legen und so etwa zum Schluss zu kommen, dass die Kosten für das Gesundheitswesen in Südtirol höher sind als im gesamtstaatlichen Schnitt. Wenn schon, dann müssen wir auch die Qualität vergleichen, und dieser Vergleich dürfte klar für uns sprechen: bei uns müssen die Patienten schließlich keine Medikamente, keine Spritzen und kein Toilettenpapier von daheim mitbringen. Wenn schon, dann ist unser Gesundheitswesen mit jenem in Deutschland oder Österreich zu vergleichen und im Vergleich dazu, liegen unsere Kosten niedriger.
Ich verstehe schon, doch bei einem Haushalt von 5,1 Milliarden Euro und Kosten für rund 20.000 Mitarbeiter der Verwaltung (auf 41.000 insgesamt) wird es doch Einsparungspotential geben.
Die gibt es mit Sicherheit und wir arbeiten auch bereits schon an einem neuen Organigramm, das durch die Zusammenlegung von Diensten den Abbau von Personal in unserem Zuständigkeitsbereich – also in Landesverwaltung, Schule und Gesundheitswesen – um 550 Einheiten (drei Prozent) zum Ziel hat. Dazu kommen die Kürzung von Essenskosten und jener für Außendienste um 20 Prozent ebenso, wie eine 20-prozentige Kürzung der Bezüge von Politikern und Verwaltern sowie der Politikkosten etwa in Form der Repräsentationsfonds der Landesregierung. So könnten wir jährlich etwa 30 Millionen Euro einsparen.
Ihr Ansatz scheint meilenweit von dem entfernt, was das Wochenmagazin FF jüngst auf seine Titelseite gehoben hatte, und es stellt sich die Frage: Hat die Forderung nach einem “Los von Rom” überhaupt noch Sinn?
Nein, das glaube ich nicht. Wir sehen, dass in Italien, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, hart an einer Sanierung des Staatshaushalts gearbeitet wird. Ich habe bereits betont, dass wir unseren Beitrag leisten und uns nicht aus der Verantwortung stehlen werden, indem wir mit einer Loslösung oder einer Annexion an Österreich drohen, wie dies die Opposition gerne hätte.
…eine Opposition, die sie selbst mit an den Rand gedrängt haben, die aber von den Reibereien mit Rom profitieren könnte…
Das rechte Spektrum unserer politischen Landschaft wird von drei Minderheitenparteien vertreten, die die Selbstbestimmung oder einen Freistaat fordern. Ihnen muss man entgegenhalten, dass es kein internationales Vertragswerk gibt, das eine Forderung nach einem eigenen Staat Südtirol stützen würde. Was wir dagegen auf der Grundlage eines internationalen Vertrags sehr wohl tun können, ist gegenüber der Regierung Monti unsere autonomen, verfassungsrechtlich verankerten Rechte zu verteidigen – innerhalb des italienischen Staatsverbands.
Dafür haben Sie ja erst vor wenigen Tagen in Meran Rückendeckung von den beiden Staatsoberhäuptern Giorgio Napolitano und Heinz Fischer bekommen.
Sowohl Giorgio Napolitano, als auch Heinz Fischer haben klare Worte gefunden, um unsere Autonomie zu verteidigen, weil sie erkannt haben, dass wir nichts anderes fordern als das Einhalten derselben. Dies, um zu verhindern, dass die Autonomie ausgehöhlt wird. Wir fordern deshalb auch von Monti nichts anderes, als die Anerkennung dieses Verfassungsrechts.
Ich habe den Eindruck, dass nun einige von nationalen Medien gefahrene Kampagnen auf Südtirol zurückfallen, in denen der Eindruck erweckt wurde, die Autonomie sei ein Synonym für einen allzu weitgehenden Versorgungsstaat.
Eines vorneweg: Wir kriegen nicht nur Geld, wir haben nicht nur Vorteile, wie so manch einer nicht müde wird zu behaupten. Wir zahlen auch für jede Zuständigkeit, die wir haben. Während also etwa in Venetien – wo Präsident Zaia keinen Tag vergehen lässt, um gegen die Regierung zu schießen – der Staat für Straßen, Lehrpersonal, einen Teil des Gesundheitswesen, den Schulbau, den öffentlichen Nahverkehr oder die Universität zahlt, kommen wir in Südtirol dafür – und für vieles andere mehr – selber auf. Das heißt Autonomie. Und die Früchte dieser Autonomie sind Vollbeschäftigung, ein leichtes Wirtschaftswachstum trotz Krise und eine Verwaltung, die funktioniert. Das hat nichts mit Versorgungsstaat oder gar mit Verschwendung zu tun, wie man sie in anderen Regionen, etwa in Sizilien, durchaus erkennen mag, sondern mit einer effizienten Politik und Verwaltung.
Sie halten sich für so effizient, dass Sie nun mit dem Staat auch um die verbleibenden Kompetenzen rittern.
Wir sind bereit, jene Kosten zu übernehmen, die der Staat für seine Dienste – Verteidigung, Justiz, Polizei, Finanzen, Einwanderung – in Südtirol tragen muss. Im Gegenzug verlangen wir, dass uns nicht mehr neun Zehntel der in Südtirol eingehobenen Einnahmen zustehen wie bisher, sondern die gesamten zehn Zehntel. Damit würden wir den Staat um rund 120 Millionen Euro jährlich entlasten, nachdem sich seine Einnahmen in Südtirol auf rund 380 Millionen Euro belaufen, die Ausgaben aber auf rund 500.
Zurück zur Autonomie, die in diesem Jahr das 40-Jährige des Zweiten Statuts feiert. Wenn Silvius Magnago der Vater des Pakets war, dann waren Sie der, der es umgesetzt hat: gibt’s etwas, was sie dabei bereuen?
Ich hätte gern auf die Zeit verzichtet, die wir mit sinnlosen Polemiken vergeudet haben, denn so hätte vieles viel schneller umgesetzt werden können: vom Flughafen über die dreisprachige Universität bis hin zu Infrastrukturprojekten wie etwa die Schnellstraße zwischen Meran und Bozen oder so manche Umfahrung und das Bozner Stadttheater. Und dann bleibt noch die offene Frage einer endgültigen Regelung der Toponomastik, die immer wieder an den beiden Rechten – der italienischen und der deutschen – scheitert, die sich weigert, die Frage mit gutem Willen anzugehen.
Die Autonomie hat zu einem Ausgleich zwischen Deutschen und Italienern geführt. Wie rechtfertigen sich da noch ethnischer Proporz und getrennte Schulen?
Ich habe die letzten 43 Jahre Südtiroler Politik aus erster Hand erlebt und kann sagen: zwischen der Situation in den 60ern, 70ern und der heutigen gibt es keinen Vergleich. Damals hat das Gegeneinander der Volksgruppen an Hass gegrenzt, heute gibt’s Zusammenhalt auch zwischen den Volksgruppen, der leider hin und wieder von den Politikern – italienischen wie deutschen – gestört wird, weil diese den gemachten Fortschritt aus Eigennutz leugnen. Und wenn wir von getrennten Schulen reden, müssen wir auch sagen, dass es allein den Eltern vorbehalten bleibt zu entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind schicken – ganz unabhängig von der Muttersprache.
Und der ethnische Proporz?
Ich bin überzeugt, dass der Proporz nach wie vor notwendig ist, auch wenn das Risiko einer Diskriminierung der Minderheiten kaum noch droht. Zudem muss gesagt werden, dass nach einer Phase des Streits über jede Kommastelle der Proporz heute flexibel und mit Hausverstand angewandt wird. Ich denke, das ist der richtige, ein pragmatischer Weg.
Sie haben angekündigt, dass Sie sich 2013 ins Privatleben zurückziehen werden. Können Sie das bestätigen?
Wenn ich heute in den Spiegel schaue, dann merke ich, dass die Jahre auch an mir nicht spurlos vorüber gegangen sind, und denke mir, dass mir vielleicht noch 10, 15 Lebensjahre bleiben. Und obwohl ich gläubig bin und an ein Leben nach dem Tod glaube, möchte ich doch auch noch ein Stück Paradies auf Erden genießen. Deshalb glaube ich, dass der Rückzug die richtige Entscheidung ist, um mich um meine Familie und um meine gerade einmal dreijährige Tochter zu kümmern.